Der moderne Erlkönig

Wer rollt so gemütlich mit Rückenwind,
den Schnellzug am Haken, die Frontscheibe blind,
es ist der D 0815, mit Diesel bespannt,
ist drei Stunden später, doch er fährt noch durch's Land.

Es ist fast ein Wunder, denn von den Motoren
hat einer beim Anfahren zwei Pleuel schon verloren.
Der andere hat Wasser und arbeit hydraulisch,
doch im großen und ganzen, die Fahrt ist erbaulich.

Das Strömungsgetriebe, das poltert und kracht,
der Steuerölwächter hat sich auf und davon gemacht.
Den Ölstand kann man mit Müh noch erkennen,
und auch ein Magentventil bekommt schon das Rennen.

Zwei Leistungsschutzschalter, die fielen schon raus.
auch der Kraftstoff ist bald aus.
Am hinteren Schaltschrank, da brenn die Lampen.
und selbst die Spannung fängt an zu schwanken.

Mein Beimann, was birgst du so bang im Gesicht ?
Siehst du, Meister die Rauchfahne nicht ?
Da ist bestimmt eine Leitung gerissen,
warum wir noch fahren, das möchte ich wissen !

Die Drehzahl sinkt, der Öldruck wird kleiner,
von den Scheibenwischern geht nur noch einer,
aus dem Lager pfeift es wie aus einem Vogelnest,
am hintern Drehgestell ist die Bremse fest.

Sie erreichen das Endziel mit Müh und Not,
starten können sie nicht mehr, die Batterie ist tot,
und doch sind sie glücklich, es war ihr letzter Kampf,
ab morgen fahren sie beide, laut Dienstplan mit Dampf.


Anm.: Dieser Text stammt aus der Zeit der Traktionsumstellung von Dampf auf Diesel.

Von: Wolfram Peter Dehmel, mit Dank an das Infocenter Nürnberg Hbf


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Letzte Änderung: 30.01.1996